Der Bergmann im Silbertrumm (Bad Grund)

Im Silbertrumm, einer Grube, die nun schon lange verschüttet liegt, arbeitet einmal ganz allein ein junger, frischer Bergmann. Es war zu der Zeit, wo das Zwergenvolk den Harz noch nicht verlassen hatte und den Bergleuten, die ihm wohlgefielen, bei ihrer Arbeit in dunkler Tiefe vielfach an die Hand ging. Namentlich warnten die Zwerge ihre Schützlinge, wenn Gefahr droht; dann klopften sie an die Erzwände, rüttelten an den Fahrten (Leitern), schlugen die Wetterthüren auf und zu und zerrten an den Seilen, an welchen die Tonnen im Schachte auf- und niedergehen.

Solche Warnungszeichen hatte unser Bergmann auch wahrgenommen. Doch achtete er ihrer nicht, sondern abreitet rüstig weiter. Dann hörte er plötzlich ein furchtbares Getöse und Geprassel über sich, lose Steine polterten hernieder, und eine Staubwolke fuhr, wie von einem Windstoße gejagt, durch die Strecke, auf der er arbeitete. Erschrocken eilte er an den Fahrschacht und fand hier seine Vermutung bestätigt; der Schacht war eingebrochen, und er war rettungslos verloren; denn um die Felsen wegzuräumen und den Schacht wieder fahrbar zu machen, dazu hätte ein Jahr nicht ausgereicht. Verzweifelnd lehnte er den Kopf an die Gesteinswand und schalt sich laut einen Thoren, daß er der Warnung nicht gefolgt war. „Ja, freilich bist du ein Thor“, sprach da eine Stimme neben ihm; „konntest du nicht hören, als es Zeit war? Nun ist der Tod die Strafe deiner Keckheit!“

Es war ein Zwerg, unförmlich und häßlich von Gestalt, der so zu ihm sprach. „O du guter Berggesell“, antwortete ihm der Verschüttete, „dir sind ja alle Wege bekannt; so hilf mir heraus aus diesem Grabe, daß ich Gottes Himmel wieder über mir sehe und an dem Schein der Sonne mich erquicke!“ „Nun denn, so folge mir!“ erwiderte der Zwerg, „aber es gibt nur einen Weg und der ist gar weit.“

Auf seinen Wink öffnete sich ein Spalt in der Felswand, gerade breit genug, daß ein Mensch sich hindurch winden konnte. Aber bald erweiterte sich die Kluft, und sie betraten eine von wunderbarem Lichte erleuchtete Halle. Das strahlte von Wand und Decke in den verschiedensten Farben wieder und spiegelte sich in den funkelnden Kristallen und glänzenden Silberstufen und dem blitzenden edlen Gestein. Hier ruhte die Wölbung auf Säulen von gediegenem Golde, dort reichten wunderbare Tropfsteingebilde, hinauf strebenden Bäumen gleich, von dem Boden bis zur Decke, und dort wieder rauschte glitzernd ein Wasserfall über prachtvolle Erzdrusen hernieder. Staunend ob all dieser Herrlichkeit folgte der Bergmann dem Zwerge. Bei einer Quelle, aus deren klarem Wasser er sich labte, teilte sich der Weg. Der eine Pfad wand sich in Krümmungen nach oben, der andere führte abwärts und eine lange Strecke geradeaus, so daß man auf ihn weiterhin sehen konnte. Und die Pracht, die der Bergmann erblickte, übertraf alles, was er bis dahin gesehen hatte. Hier schimmerte alles in noch schöneren Farben und leuchtete in strahlendem Glanze, und tausend und abertausend Gestalten mit goldgelbem Haar lächelten ihm freundlich entgegen und winkten ihm grüßend wie einem alten, lieben Bekannten. Da vergaß er seine Sehnsucht nach der Oberwelt und wollte hinein in das Paradies, das sich ihm erschloß.

Aber erschrocken wich er zurück. Denn vor ihm lagen, quer über den Weg gestreckt, auf eisernem Lager schlummernd zwei entsetzliche Riesen, und als der eine von ihnen im Schlaf seine Glieder regte, da rollte ein dumpfer Donner schauerlich durch die Hallen, der Boden erzitterte, und die Wände schienen zu wanken. „Zurück, Unsinniger!“ raunte da der Zwerg ihm in das Ohr, „Tritt den Gewaltigen nicht zu nahe, damit sie nicht erwachen! Denn wenn sie sich erheben und umherwandeln, dann erbebt der Erdboden unter ihren Füßen, und Felsen und Berge stürzen über einander, und Flüsse und Meere treten aus ihren Ufern.“ „Und wer sind diese Gewaltigen?“ fragte mit scheuem Blick der Bergmann. „Kennst du die Erdbeben nicht?“ antwortete der Zwerg.

Da erschrak der Bergmann und wollte sich abwenden. Aber nun fiel sein Auge wieder auf die lächelnden, ihm winkenden Gestalten, und er bat seinen Führer: „O, nun verlangt mich nicht mehr zurück auf die Erde! Laß mich bleiben bei euch, laß mich teilhaben an eurem Glücke!“ Doch mißbilligend schüttelte der Zwerg sein runzeliges Haupt und sagte: „Das kann dir nimmer vergönnt sein! Nur deinen ersten Wunsch vermag ich dir zu erfüllen. So komm denn, damit ich dich zurückführe!“ Aber fast mit Gewalt mußte er ihn fortziehen, und mehrmals blieb der Bergmann stehen, blickte sehnsuchtsvoll zurück und überlegte, ob er nicht dennoch wieder umkehren sollte.

Inzwischen war der Gang enger und dunkler geworden, der Zwerg hatte ihn ohne Abschied verlassen, und er konnte nur den Weg nach oben finden, von wo ihm ein Lichtschein entgegenschimmerte.

Jetzt trat er aus einer Höhle hinaus, und jene Anwandlung vergessend, begrüßte er freudig das Sonnenlicht und blickte dankbar hinauf zum Himmel. Aber wo befand er sich eigentlich? Das dort war ja der Iberg, und
daneben schauten die Felsen des Hübichensteins aus den Baumwipfeln heraus; aber es sah doch alles so ganz anders aus als gestern, und selbst die Bergstadt Grund zu seinen Füßen schien sich seltsam verändert zu haben.

 xQLi5dA

Merian, 1658

Als er noch so stand und sich besann, kamen zwei Bergleute um die Waldecke auf ihn zu. Aber ihre Gesichter waren ihm fremd, und als sie ihn erblickten, blieben sie stehen und schlugen ein Kreuz, und als er jetzt auf sie zuzuschreiten sich anschickte, liefen sie mit raschen Schritten von dannen. Verwundert folgte er ihnen in das Thal, aber er kam nur langsam vorwärts, denn seine Füße wollten ihn nicht recht tragen, und seine Schritte wurden wankend.

Beim ersten Hause traf er eine Schar Kinder. Die hielten im Spiel inne, schauten ihn an und folgten ihm in immer anwachsenden Haufen; und er kannte keins von ihnen. In jedem Hause öffneten sich die Fenster, als der Trupp vorüberzog, aber alle Gesichter, die Ihm aus Fenster und Thür nachschauten, waren ihm wildfremd. Und er hatte sich doch so schön gedacht, wie alle seine Freunde und Bekannten ihm entgegeneilen und zu seiner Rettung beglückwünschen würde; und nun drückte ihm niemand die Hand, niemand rief im grüßend ein Glückauf zu. Dagegen hörte er, wie einer den anderen fragte, ob man ihn kenne, und sah, wie jedermann verneinend den Kopf schüttelte.

Nun stand er vor seinem Hause. Aber wie hatte sich das verändert! Hatte er es denn nicht erst vor wenigen Jahren neu erbaut! Und nun waren die Wände geborsten, und auf dem altersgrauen Schindeldache wuchsen hohe Moose! Da rief ein Knabe, der neu herzukam: „Hu, welch ein langer Bart!“ Galt das ihm? Er faßte sich an das Kinn und da fühlte er einen wilden Bartwuchs und im Gesicht nichts als Runzeln und Falten.

Nun wurde ihm unheimlich zu Sinne und er wandte sich zu den Umstehenden und fragte zaghaft, ob ihn denn niemand kenne, er sei ja Gottlieb Fust, der gestern im Silbertrumm verschüttet sei, und dies da wäre sein Haus. Da lachte man ihm ins Gesicht und meinte, der alte, fremde Mann rede irre, denn das Haus gehöre Karl Weidanz, und der habe es von seinem Vater, und dieser von seinem Großvater geerbt; und einen Gottlieb Fust habe es in Grund nie gegeben, und die Grube Silbetrumm werde schon seit Menschengedenken nicht mehr befahren. Er fragte weiter nach seinem Steiger und seinem Pfarrherren, aber niemand kannte die Namen, die er nannte.

Da setzte sich der Alte auf einen Stein vor seinem verfallenen Hause und weinte bitterlich, und mitleidige Burschen riefen den Pfarrer und den Bergmeister herbei. Die hörten kopfschüttelnd an, was der Fremde erzählte, und der Pfarrer führte den Bergmeister auf den Kirchhof und zeigte ihm den Grabstein des Pfarrherren, den jener genannt hatte; aber die Jahreszahl war nicht mehr zu entziffern.

Nun gingen sie zurück zu den Alten und fragten ihn, welche Jahreszahl man geschrieben habe, als er zum letztenmale angefahren sei. 1532, sagte er, unter der Regierung des durchlauchten Herzogs Heinrich, dem Gott langes Leben verleihen möge. Da ging ein Staunen durch die Menge, denn nun schrieb man 1732. Und als der Bergmeister in alten Schriften nachsah, da fand er, daß der Silbertrumm wirklich im Jahr 1532 zu Buch gegangen und darin ein junger, fleißiger Bergbursch, namens Gottlieb Fust, elend umgekommen war.

Liebevoll nahm man sich des Alten an, aber schon nach wenigen Tagen mußte sie ihm ein Bett auf dem Kirchhof bereiten, wo seine Bekannten und Altersgenossen schon so lange schlummerten.